EIN NEUER HÖHEPUNKT IN VICTOR CAMPENAERTS’ KARRIERE
An einen Sieg bei einem Halbklassiker im Frühjahr ist 2023 nicht zu denken, da er voraussichtlich sechs Wochen pausieren muss. Anfang Mai deutete Victor noch an, dass er für die Tour de France nicht bereit sein würde. Doch nach dem hervorragenden Critérium du Dauphiné, bei dem er ei so nach das Bergtrikot holte, startete er trotzdem. Sein enormer Kampfgeist bei der Tour kann einem kaum entgangen sein. Manchmal war die Fahne von Tour-Chef Christian Prudhomme kaum gefallen, da war Victor schon weggefahren, wie er selbst seine Ausreißversuche nennt. Auf der ersten Etappe im Baskenland war er der allererste Flüchtige. Schon vor dem offiziellen Start war er im Visier. Mehrmals versuchte er, sich an einer hoffentlich entscheidenden Ausreißergruppe zu beteiligen. Doch leider kam er nicht über einen 10. Platz auf der 12. Etappe von Roanne nach Belleville-en-Beaujolais hinaus.
Mit dem ‘Super Combatif’ belohnt
Zum Glück war Victors Kämpferherz auch der achtköpfigen internationalen Jury und dem Publikum nicht entgangen. In den Etappen 18 und 19 war er bereits zum Combatif du jour erklärt worden. Das bedeutete, dass er am nächsten Tag mit der beigen Trikotnummer mit schwarzen Zahlen starten durfte. Dank der Stimmen der Jury und des Publikums wurde er in Paris mit dem ‘Super Combatif’ ausgezeichnet. Er wurde zum kämpferischsten Fahrer des gesamten Rennens gewählt, während Frankreichs Publikumsliebling Thibaut Pinot seine letzte Tour fuhr und wir wissen, wie chauvinistisch die Franzosen in dieser Hinsicht sein können. Das brachte Lotto-Dstny ein Preisgeld von insgesamt 24.000 Euro ein. Letztes Jahr ging der Titel an Wout van Aert.
Ein schöner Preis für Victor und Lotto-Dstny
Wir fragten Victor nach dem Wie und Warum des Gewinns. “Es ist etwas ganz Besonderes, diesen Preis zu gewinnen. Aber es war nie wirklich ein Ziel, um diesen Preis zu fahren. Es war eigentlich mehr eine Selbstverständlichkeit. Erst in der letzten Woche des Rennens wurde es zu einem Thema im Team, und wir versuchten, so viel wie möglich anzugreifen, um den Preis zu bekommen. Dafür muss ich mich bei meinen Teamkollegen bedanken. Wir können zufrieden zurückblicken, auch wenn wir keine Etappe gewinnen konnten. Auch für mich persönlich ist dieser Preis eine große Genugtuung. Meine Saison verlief wegen des schweren Sturzes und der anschließenden Rehabilitation nicht reibungslos. Zu Beginn hatte ich Zweifel, ob ich noch mein bestes Niveau erreichen kann. Aber diese Tour hat mich in diesem Punkt bestärkt.”
Eine typische Kapriole von Campenaerts: der Col du Campi
Wer Victor ein wenig kennt, weiß, dass er sich immer etwas Unerwartetes einfallen lassen kann. So auch nach der Tour de France, als er Anfang September letzten Jahres den neu gestalteten Marktplatz in seiner Heimatstadt Gavere einweihte: Er fragte die Stadtverwaltung scherzhaft, ob er das Schild “Col de Campi” im renovierten Park vor dem Rathaus aufstellen dürfe. Er würde dann zusammen mit Arnaud De Lie – der regelmäßig sein Trainingspartner ist – ein Video davon machen, während sie auf dem “Col” “trainieren”. Campi” ist übrigens, wie Vocsnor”, einer seiner Spitznamen. Bürgermeister Denis Dierick und Beigeordneter Dirk Martens (u.a. Sport) fanden die Idee gut und haben sie genehmigt. Und es war ein schöner Gewinn für die Eröffnung des Marktes.
Auf der Suche nach dem Col du Campi
Wer von der Scheldebrücke über die Molenstraat nach Gavere einfährt, den erwartet bis zur Brauerei Contreras ein 1.300 Meter langer Anstieg mit einer durchschnittlichen Steigung von 2,8 %. Doch auf Höhe des neu gestalteten Marktplatzes und des Rathauses muss man 100 Meter lang ein Stück mit 7,2 % bewältigen. Und kurzzeitig tickt der Zähler sogar 8%. Biegt man bei der Touristeninformation rechts ab, kann man den Col du Campi mit einem “A” besteigen. Dort befindet man sich – laut Schild – auf einer Höhe von 2300 cm.
Ein fester Bestandteil des Dorfes
Dass Victor sich in Gavere wohlfühlt, wissen wir schon seit einiger Zeit. Aber mit dem Col, der sich in der Nähe seines Hauses in der Molenstraat befindet, hat er sich nun auch einen festen Platz im Dorf verschafft, und darauf ist er stolz. Dass er es ernst meint, haben wir gemerkt, als er sich mit den nötigen Werkzeugen um die Bepflanzung ‘seines Berges’ kümmerte. Wenn er von zu Hause aus in die flämischen Ardennen aufbricht, muss er natürlich in die Pedale treten, um auf den Gipfel seines eigenen Berges zu gelangen.
Ein schöner Abschluss seiner Saison
Nach der Tour de France, am Ende einer Saison, die für ihn so schlecht begonnen hatte, konnte er noch zwei schöne Siege einfahren. Damit bewies er, dass er aus der Tour in hervorragender Form gekommen war. Am 19. August gewann er die bleierne Druivenkoers in Overijse. Victor griff im Finale mit dem Norweger Rasmus Tiller an und holte sich nach einem hart umkämpften Sprint mit seinem ehemaligen NTT Pro Cycling-Teamkollegen den Sieg. Seine gute Form setzte er bei der Škoda Tour Luxembourg fort. Dort gewann Victor die 4. Etappe, das 23,9 km lange Einzelzeitfahren auf dem leicht abfallenden Kurs rund um Pétange. Auf den luxemburgischen Straßen war Victor Campenaerts eine Sekunde schneller als der amerikanische Zeitfahrmeister Brandon McNulty.
Text: Rens Klaasse
Foto’s © Pauline Ballet / Luc Speybroeck