EVENEPOEL UND POGAČAR UNTER DEN FÜNF BESTEN ALLER ZEITEN
Das Jahr 2023 war ein turbulentes Jahr für den talentierten Jungen aus Schepdaal. Von den Corona-Problemen und der Aufgabe beim Giro, einem idiotischen Sturz mit einem schweren Off-Day ein paar Tage später bei der Vuelta, dem/den Flirt(en) mit dem Team Ineos, bis hin zum regelrechten Varieté in der Presse mit anhaltenden Spekulationen über seine Zukunft und die Fusion zwischen Jumbo-Visma und Soudal-Quick-Step.
Dazwischen noch spektakuläre Siege bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, Classica San Sebastian, Etappensiege bei Giro und Vuelta, BK und WM-Zeitfahren. Wir sprechen von einem ereignisreichen Jahr.
Aber was manche schon fast als normal ansehen, und andere sicher nicht, sind die vielen großen Siege, die Remco bisher errungen hat. Es scheint, als würden Evenepoels Leistungen ein wenig von denen von Tadej Pogačar überdeckt werden. Aber ist das gerechtfertigt? Hat Tadej so viel mehr gewonnen (Qualität)? Hat er so viel mehr große Siege in seiner Bilanz?
Die Antwort ist nein!
"Es scheint, als würden Evenepoel's Erfolge von denen von Tadej Pogačar ein wenig überdeckt werden."
Vergleich der Palmares
Wir haben also einen Vergleich der Lebensläufe bis zu dem Zeitpunkt durchgeführt, als die Fahrer 24 Jahre alt wurden. Ein Alter, in dem die meisten Profifahrer noch von ihrem ersten großen Sieg träumen, während Remco bereits 50 UCI-Siege vorweisen kann.
Auch Tadej Pogačar ist ein solches Phänomen. Tadej ist ein Jahr und vier Monate älter als Remco und sein Rekord liegt derzeit bei 63 UCI-Siegen. Pogačar hatte 44 UCI-Siege auf dem Konto, bevor er 24 Jahre alt wurde.
Sowohl Remco Evenepoel als auch Tadej Pogačar hatten 2023 eine sehr gute Saison. Beide hatten aber auch etwas Pech, was sie allerdings bremste. Ohne dieses Pech hätte ihre Saison wahrscheinlich noch besser ausgesehen. Nachdem wir die Anzahl der UCI-Siege gesehen haben, die diese Phänomene bereits errungen haben, bekamen wir den unwahrscheinlichen Drang, ihre Palmares mit den Palmares anderer Größen der Vergangenheit in diesem Alter zu vergleichen. Und genau das werden wir in diesem Artikel tun.
Remco schneidet besser ab als Tadej
Die Tatsache, dass Evenepoel in Wirklichkeit der erste Verfolger von Eddy Merckx ist, sagt alles über die Größe des Fahrers Evenepoel aus. Dass er darüber hinaus noch besser abschneidet als das andere Phänomen dieser Ära, dürfte für viele eine große Überraschung sein. Nach unserem Punktesystem ist Remcos Lebenslauf jedoch nur geringfügig besser als der von Tadej in diesem Alter. Beide fuhren bisher einen absoluten Spitzenrekord, aber Remcos Rekord in diesem Alter wurde nur von Cannibal übertroffen!
Wollen wir damit sagen, dass Remco per se besser ist als Tadej? Nein, das ist nicht unsere Absicht und/oder These. Wir stützen uns auf die Siege, mit denen der Belgier den Slowenen knapp besiegt hat. Unsere Wertung wird für Diskussionsstoff sorgen, aber jeder andere Ansatz wird in etwa das gleiche Ergebnis liefern. Eddy liegt nach wie vor deutlich in Führung, und Remco und Tadej sind in der absoluten Spitze der Allzeit-Rangliste nicht weit voneinander entfernt. Was das in Zukunft geben wird, ist unmöglich vorherzusagen. Ein echter Kenner wie José de Cauwer schätzt Pogačar eindeutig höher ein als Evenepoel. Betrachtet man nur das an sich vielseitige Radsporttalent, könnte das unserer Meinung nach die richtige Einschätzung sein, aber wir glauben auch, dass Remco einen größeren Willen hat als Pogi. Dass er einfach ein bisschen williger ist… Wer also am Ende den größten Rekord aufstellen wird, steht noch in den Sternen.
"Aber, ist das richtig? Nein, denn nach der Analyse der Palmares sieht es so aus, dass Remco besser abschneidet als Tadej."
Evenepoel ist ein Individuum. Ein Gefäß, das vor Talent nur so strotzt. In allem, was er tut, ist er anders als die anderen. Ein einzigartiger Radsportler und ein junger Mann mit einem sehr offenherzigen Charakter. Jemand, zu dem jeder Radsportfan eine eindeutige Meinung hat. Man ist entweder 100 % für oder 100 % gegen ihn. Offenbar gibt es fast keine andere Möglichkeit; es gibt nur weiß oder schwarz, sehr selten grau.
Man sehe sich nur die Kommentare an, die die “Radsportfans” in den sozialen Medien abgeben. Die Schadenfreude, wenn er kurz zu Boden geht – sprich einen schlechten Tag hat – ist daher erbärmlich zu lesen. Dass man kein Evenepoel-Anhänger ist, weil man mehr Sympathie für einen anderen Fahrer hegt, ist durchaus nachvollziehbar. Dass manche seine sehr direkte Art zu reagieren und zu kommunizieren nicht schätzen, mag sein, schließlich sind wir alle verschieden und müssen nicht jeden mögen. Aber Respekt vor dem, was Remco mit den Pedalen zeigt, ist mehr als angebracht, denn was Evenepoel bisher mit seinen Beinen erzählt hat, überlässt nichts der Fantasie. Remco’s Beine sprechen häufig und haben schon jeden Kritiker schachmatt gesetzt!
"'Remcos Beine sprechen häufig und haben schon jeden Kritiker schachmatt gesetzt'"
Fast im breiten Windschatten von Eddy Merckx
Evenepoel wird am 25. Januar 2024 nur 24 Jahre alt, und wir haben die Lebensläufe – bis zum 24. Geburtstag – der größten Fahrer aus verschiedenen Epochen verglichen. Wir haben 61 große Namen aus verschiedenen Epochen und verschiedenen Ländern ausgewählt und sie miteinander verglichen. Dass der Sieger auf den Namen Eddy Merckx hört, wird niemanden überraschen, aber dass ihm mit relativ geringem Abstand Remco Evenepoel folgt, wird für viele eine Überraschung sein. Dass er damit auch das andere aktuelle Supertalent Tadej Pogačar schlägt, werden viele Radsportfans ebenfalls als “nicht erwartet” bezeichnen. Tadej liegt auf Platz vier unserer Rangliste mit nur einem Punkt weniger als Giuseppe Saronni, der allerdings ein Frühaufsteher war und den Schwung nicht lange fortsetzen konnte, bevor er 24 war.
Dieses Punkte-Ranking macht also mehr als deutlich, dass wir es in diesen Zeiten des Radsports mit zwei der außergewöhnlichsten Champions in der gesamten Geschichte des Radsports zu tun haben. Tadej hat seinen Weg 2023 – im Jahr nach seinem 24. Geburtstag – konsequent fortgesetzt, und wir sind schon jetzt gespannt, was die beiden Männer in der nächsten Saison in petto haben werden. Wir freuen uns schon jetzt auf die bahnbrechenden Konfrontationen im Jahr 2024.
"Neben dem unnahbaren Merckx kommen nur noch Guiseppe Saronni und Tadej Pogačar in die Nähe".
Zwischenbilanz
Ja, es handelt sich um eine Zwischenbilanz, die eine Momentaufnahme darstellt. Die endgültige Bilanz wird am Ende einer Karriere gezogen, und es gibt viele Beispiele von Fahrern, die in sehr jungen Jahren große Erfolge erzielen konnten und danach völlig verblasst sind. Man denke nur an Daniel Willems, der wie ein Komet in das Profi-Peloton einstieg, danach aber schnell wieder verblasste. Auch Eric Vanderaerden hatte seine besten Jahre mit 23 und 24 Jahren, gefolgt von einem weiteren Spitzenjahr mit 25 Jahren, um dann von Jahr zu Jahr weniger erfolgreich zu sein. Ähnlich verhält es sich mit Giuseppe Saronni – der in unserer Liste an dritter Stelle steht -, der bis zum Alter von 27 Jahren sehr erfolgreich war und dann plötzlich mit vielen (großen) Siegen aufhörte. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Es gibt zahlreiche Beispiele von Fahrern, die mit 24 Jahren kaum etwas gewonnen hatten und am Ende eine erstaunliche Bilanz vorweisen konnten. Schauen Sie sich nur an, was Jonas Vingegaard jetzt macht oder wie Philippe Gilbert nach seinem 24. Geburtstag ein Monument von einem Palmares aufgebaut hat.
Aber all das ändert nichts an der Tatsache, dass das, was Remco Evenepoel heute in diesem Alter auf die Beine gestellt hat, fast schon weltfremd ist. Der Trophäenschrank, der in Evenepoels Haus bereits prall gefüllt ist, ist etwas, wovon die meisten Fahrer nur träumen können, wenn sie die Hälfte ihrer Karriere hinter sich haben.
Zahlen belegen die Fakten
Die Zahlen aus unserer Studie sind eindeutig. Neben dem immer noch unnahbaren Merckx kommen in diesem Alter nur noch Guiseppe Saronni und Tadej Pogačar an Evenepoel heran. Remco hat sich fast in den breiten Windschatten von Eddy Merckx gestellt – dem Fahrer mit dem größten Lebenslauf aller Zeiten.
Wir wollten eine Liste mit 60 Namen vergleichen, aber als wir auf den Namen von Jempi Monseré stießen, beschlossen wir, daraus 61 zu machen. Wo wäre Jempi ohne den tragischen Unfall in Retie, bei dem er sein Leben verlor, gelandet? Wir werden es nie erfahren, aber als eines der größten Talente aller Zeiten verdient er eine besondere Erwähnung in dieser Liste.
Wir wissen auch, dass es noch mehrere Fahrer gibt, die nicht in der Liste der Champions aufgeführt sind. Alfredo Binda, Briek Schotte, Philippe Thijs, Ottavio Bottecchia, Nicolas Frantz, Louison Bobet, Lucien Van Impe, Luis Ocaña, Walter Godefroot, Maurizio Fondriest, Frederico Bahamontes, Bernard Thévenet, Marco Pantani, Abraham Olano, Joaquim Agostinho, Bradley Wiggins, usw… . Alles große Rundengewinner, Weltmeister und/oder Gewinner der großen Klassiker. Wir haben sie auch kurz überprüft, um zu sehen, ob sie in der Nähe der Spitze sind….
Aber nein, ob wir nun 61, 80 oder 100 Fahrer nehmen, das ändert nichts an der Rangliste:
1. Eddy Merckx
2. Remco Evenepoel
"Die Gesamtwertung lautet: 1. Eddy Merckx 2. Remco Evenepoel..."
Unser Punktesystem
Um das gesamte Paket der Siege der Fahrer zu betrachten und einen akzeptablen Vergleich zwischen ihnen anzustellen, haben wir unser eigenes Punktesystem entwickelt.
– Grand Tours: Gesamtsieg 10 Punkte, Etappensieg 2 Punkte.
– Weltcup: 10 Punkte
– Klassische Monumente: 8 Punkte
– Klassiker: 5 Punkte.
– Grünes Trikot oder gepunktetes Trikot bei der Tour de France: 5 Punkte
– Paris-Nizza, Tirreno Adriatico, Tour de Suisse, Tour de Romandie: 6 Punkte Gesamtsieg und 1 Punkt Etappensieg
– Nationaler Titel + Europameisterschaft: 5 Punkte
– Kleinere Etappenrennen: Gesamtsieg 4 Punkte und Etappensieg 1 Punkt.
– Punktetrikot oder Bergpreis bei Giro oder Vuelta: 3 Punkte
– Wichtige Zeitfahren: 3 Punkte
– Übrige Rennen: 1 Punkt.
Erläuterung des Punktesystems:
Natürlich kann und wird das Punktesystem für Diskussionen sorgen, aber wir sehen dies als eine Möglichkeit, einen Palmares zu bewerten. Irgendwo muss man ja einen Nenner finden, um die verschiedenen Rennen und ihre Bedeutung zu kategorisieren.
Wir wollen damit nicht den größten Fahrer aller Zeiten küren, denn jede Zeit hat ihre Champions. Unterschiedliche Generationen haben auch unterschiedliche Gegner, neue wissenschaftliche Ansätze, unterschiedliche Strecken und Renntaktiken. Aber in jeder Generation ging es immer noch um das gleiche Ziel, nämlich: Gewinne, gewinne so viele große Rennen wie möglich! Deshalb sind die Palmares immer noch der beste Maßstab für den Wert.
Anmerkungen zu Palmares:
Der Vergleich mit Fausto Coppi hinkt etwas, weil seine Karriere ungewollt durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde. Natürlich wissen wir, dass wir ihm mit dieser Wertung einen schweren Schlag versetzen. Nach dem Ende seiner Karriere ist und bleibt er einer der größten Champions aller Zeiten.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass seit 1994 einige Titel hinzugekommen sind, die es zu Zeiten von Hinault und allen anderen Fahrern vor ihm nicht gab. So sind die folgenden Rennen ein großer Vorteil, um Punkte für die heutigen Fahrer zu sammeln:
1. Die Weltmeisterschaft im Zeitfahren wird erst ab 1994 ausgetragen
2. Die BK- und Europameisterschaften im Zeitfahren werden erst ab 1997 ausgetragen
3. Die Straßen-Europameisterschaften werden seit 1995 ausgetragen.
Palmares Ergebnisse bis zum 24. Geburtstag
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass Merckx zu seiner Zeit nur in einem Teil Europas Gegner hatte und dass das heutige Peloton viel internationaler geworden ist.
Andererseits können sich die Fahrer heute viel mehr auf ihre großen Ziele konzentrieren, während Merckx von Januar bis Oktober arbeiten musste, um alle großen und kleineren Rennen zu fahren. Hohe Rennen bringen die Fahrer jetzt zu ihrem Höhepunkt und es gibt eine sorgfältige Auswahl der Renntage, so dass sich die Spitzenfahrer immer noch regelmäßig aus dem Weg gehen. Das gilt auch für Evenepoel und Pogačar, die sich noch nicht wirklich in Topform befinden. Das war früher nicht der Fall. Nochmals, wir wollen hier nicht nach dem größten Fahrer aller Zeiten suchen, sondern nach den größten Palmares aller Zeiten von Radfahrern bis zu ihrem 24. Und am Ende haben die Lebensläufe immer das letzte Wort!
Fazit:
Das Fazit überlassen wir dem Leser selbst, der seine eigenen Interpretationen und Kommentare dazu machen und abgeben kann.
Natürlich wird unser Punktesystem für Diskussionsstoff sorgen, aber dann kann man immer noch die Topper mit einem anderen Punktesystem vergleichen, was wir übrigens auch getan haben. Die Top 10 werden fast immer die gleichen bleiben. Wenn die Kommunikation in den sozialen Medien unter den Anhängern der verschiedenen Fahrer darüber in einer respektvollen Art und Weise – für und mit allen – geführt wird, wird das allen wieder viel Stoff für Diskussionen, Berechnungen und Spaß am Radsport geben. Das Wichtigste in dieser ganzen Geschichte ist, dass wir alle erkennen, dass dies außergewöhnliche Radsportzeiten sind, in denen wir jetzt leben.
Lasst es uns alle genießen!!!
Wir veröffentlichen hier die Palmares von Eddy Merckx, Remco Evenepoel und Tadej Pogačar bis zum 24. Ab dem 24. Januar 2024 werden wir Ihnen auf dieser Website die anderen Palmares der Top 25 vorstellen. Jedes Mal ein Großer der Geschichte, mit einem kurzen Überblick über seine weitere Karriere nach diesem 24. Ein Stück Geschichte, das wieder zum Leben erweckt wird.
Text, Zusammenstellung der Palmares und Rangliste – Teus Korporaal und Patrick Van Gansen