EINS-ZWEI-DREI

In jedem Rennen wird um das Podium gefahren, am liebsten um das oberste Treppchen. Aber in einem Feld von 150/160 Fahrern ist es für viele eine Utopie, auch nur in die Nähe zu kommen. Mit einem ersten Platz geht man so-wie-so in die Geschichtsbücher ein. Noch besser wird es, wenn zwei Fahrer aus demselben Team auf dem Podium stehen. Aber dann gibt es noch den einmaligen Fall, dass drei Fahrer aus einem Team nach dem Rennen auf dem Podium stehen.

Kürzlich geschah dies auf dem Col du Tourmalet und dem Altu de L’Angliru während der Vuelta a España, wo Jumbo-Visma eine Triologie fuhr. Im Folgenden erklären wir das alles genauer. Zunächst tauchen wir in die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts ein und stoßen unter anderem auf die folgenden Eins-zwei-drei-Etappen.

67. Tour de France 13. Etappe Pau-Bagnères de Luchon 19. Juli 1980

Miko-Mercier-Vivagel
Der Führende der Gesamtwertung, Bernard Hinault, kann diese 200 km lange Pyrenäen-Etappe über die Aubisque, den Tourmalet, Aspin und die Peyresourde wegen Knieproblemen nicht antreten. Der Tag wird zu einem grandiosen Erfolg für das französische Team Miko-Mercier-Vivagel, das die ersten drei Plätze der Tageswertung belegt. Es ist Raymond Martin, der nach einem 95 km langen Solo nach 6:27:37 Stunden als Erster die Ziellinie überquert. Hinter ihm kämpft eine neunköpfige Gruppe um die beiden anderen Podiumsplätze. Mit einem Rückstand von 03’13” überquert Teamkollege Sven-Ake Nillson die Ziellinie, während der dritte Mann von Miko-Mercier-Vivagel, Christian Seznec, mit Joop Zoetemelk, Hennie Kuiper und Johan de Muynck nach 03’27” den Sprint der übrigen acht Männer gewinnt. Drei Männer von Miko-Mercier-Vivagel auf dem Podium: eine einzigartige Angelegenheit. Aus Respekt vor Bernard Hinault weigerte sich Joop Zoetemelk, das Gelbe Trikot während der Etappe zu tragen. Bei seinen zehn Tour-Teilnahmen (1973-1983), die er alle beendet, wird Martin nie eine weitere Etappe gewinnen, kommt aber jedes Mal in Paris an. Außerdem wird er 1980 Sieger der Bergwertung.

46. Vuelta a España 13. Etappe Benasque-Zaragoza 11. Mai 1991

PDM-Ultima-Concorde
Nach seinem Sieg auf der 6. Etappe Albacete-Valencia und der 9. Etappe Sant Cugat del Vallés-Lloret de Mar wird der PDM-Ultima-Concorde-Fahrer Jean-Paul van Poppel am 11. Mai auf der 13. Etappe Benasque-Zaragoza erneut gewinnen. Etappe Benasque-Zaragoza am 11. Mai. Am letzten Tag wird er auch die Etappe nach Madrid gewinnen. In allen Fällen gewinnt er den Sprint des gesamten Pelotons. In Saragossa folgen ihm seine Teamkollegen John Talen und Uwe Raab auf den Fersen. Ein toller Teamerfolg! Trotz seiner vier Etappensiege geht der Sieg in der Punktewertung an seinen Teamkollegen Uwe Raab mit 169 Punkten. Van Poppel wird mit 116 Punkten Dritter.

58. Flèche Wallonne 20. April 1994

Gewiss-Ballan
Dieser Coup des italienischen Teams ist vielen Radsportfans noch in Erinnerung. Drei Fahrer von Gewiss-Ballan setzten sich sechzig Kilometer vor dem Ziel auf der Muur van Hoei ab: Moreno Argentin, Giorgio Furlan und Yevgeni Berzin. Erst nach dem Ziel sehen die anderen sie wieder. Sie sind nicht die Ersten im Peloton. Furlan gewann Mailand-Sanremo (23. März) und Berzin gewann Lüttich-Bastogne-Lüttich (21. April). Es versteht sich fast von selbst, dass der Sieg nun an Argentin geht. Im letzten Anstieg muss Berzin absteigen und wird mit 00’22” Dritter. Der 34-jährige Argentin gewinnt den Sprint. Ein großer Dopingschleier (epo) umgibt die Teamleistung wegen der Zusammenarbeit mit dem Sportarzt Michele Ferrari. Im gleichen Jahr gewinnen die Gewiss-Ballan-Männer Berzin den Giro d’Italia und Vladislav Bobrik die Lombardei-Rundfahrt.

94. Paris-Roubaix 14. April 1996

Mapei-GB
Ein weiteres Ergebnis, das im Gedächtnis haften bleibt. Wer erinnert sich nicht an Johan Museeuw, Gianluca Bortolami und Andrea Tafi, die mit erhobenen Armen die Ziellinie auf dem Vélodrome von Roubaix überquerten? Auf dem Kopfsteinpflaster zwischen Warlaing und Brillon, 80 Kilometer vor dem Ziel, verabschiedeten sie sich zusammen mit Franco Ballerini, dem Sieger des Vorjahres, vom Feld. Ein Reifenschaden wurde Ballerini zum Verhängnis und die drei fuhren gemeinsam weiter. Fünfzehn Kilometer vor dem Ziel entscheidet Teamchef Giorgio Squinzi, dass Museeuw gewinnen soll. Der sportliche Leiter Patrick Lefevere muss die Nachricht nur noch überbringen. Bortolami wird mit dem zweiten Platz belohnt und Andrea Tafi muss sich mit dem dritten Platz begnügen. Und so geschieht es! Selbst als Museeuw noch einen Reifenschaden hat, warten die beiden Italiener auf ihn. Was für eine Teamdisziplin! Für Tafi bleibt die Genugtuung, dass er 1999 Paris-Roubaix gewinnt.

32. Giro Rosa 11. Juli 2021

SD Worx
Das letzte Podium besteht aus Anna van der Breggen, Ashleigh Moolman-Pasio und Demi Vollering, alle drei fahren für die SD Worx-Formation. Van der Breggen hat 01’43” und 03’25” Vorsprung vor ihren Teamkolleginnen. Während des Rennens gewannen sie auch die zweite Etappe Boves-Prato Nevosa in derselben Reihenfolge. Auf der neunten Etappe Feletto Umberto-Monte Matajur siegte Ashleigh Moolman-Pasio, Demi Vollering und Anna van der Breggen wurden Zweite und Dritte. Mit drei Teamkolleginnen auf dem Podium zu stehen, ist die normalste Sache der Welt!

59. Trofeo Laigueglia 2. März 2022

UAE-Team Emirate
Die Trofeo Laigueglia ist seit Jahren das Eröffnungsrennen der italienischen Radsportsaison. Der Badeort Laigueglia liegt in der Provinz Savona an der ligurischen Küste. Fünf Belgier haben hier in der Vergangenheit gewonnen: Eddy Merckx (1973, 1974), Freddy Maertens (1977), Roger de Vlaeminck (1980), Johan Museeuw (1995), Frank Vandenbroucke (1996). Für die Niederlande wurden u. a. geehrt: Theo de Rooij (1982) und Bauke Mollema (2021). Im Jahr 2022 gehen alle Auszeichnungen an das UAE
Mannschaft der Emirate. Sieger wird der Slowene Jan Polanc mit zwei Sekunden Rückstand auf seine Teamkollegen Juan Ayoso und Alessandro Covi, die ihrerseits Rota Lorenzo von Intermarché Wanty-Gobert schlagen. Danach tritt ein zersplittertes Peloton an. Wer Laigueglia besucht, findet im Stadtzentrum auf der Piazza de Pescadori (Fischerplatz) eine Wand mit ovalen Keramik-Autogrammplatten von Fahrern und ehemaligen Fahrern.

80. Paris-Nizza 1. Etappe 6. März 2022

Mannschaft Jumbo-Visma
Auf der ersten Etappe mit Start und Ziel in Mantes-la-Ville macht Jumbo-Visma sofort auf sich aufmerksam, indem es die ersten drei Plätze der Tageswertung belegt. Und wie? Christophe Laporte, der von Cofidis gekommen ist, gewinnt vor Primoz Roglic und Wout van Aert. Es ist eine Belohnung für die Arbeit, die er bereits geleistet hat und für die Arbeit, die er in Zukunft für das Team leisten muss. Regieren heißt schließlich, nach vorne zu schauen! Pierre Latour (TotalEnergie) wird mit 00’19” Vierter, das Peloton folgt mit 00’24”. Roglic wird schließlich Gesamtsieger dieser 80. Ausgabe.

76. Vuelta a Espanã 13. Etappe 6. September 2023

Mannschaft Jumbo Visma
Die Etappe zum Tourmalet wird aus zwei Gründen in die Geschichte eingehen. Erstens für die Demonstration von Jumbo-Visma, die die Plätze eins, zwei und drei belegten. In dieser Reihenfolge: 1. Vingegaard, 2. Kuss um 00’30” und 3. Roglic mit 00’33”. Zweitens hat Remco Evenepoel, der der größte Konkurrent des Jumbo-Visma-Blocks zu sein scheint, einen schlechten Tag erwischt. Bereits 80 Kilometer vor dem Ziel muss er auf der Aubisque vorbeiziehen und muss mehr als 27 Minuten einbüßen. Damit ist der Weg frei für die gelbe Brigade. Und die machen es wahr. Tour-Sieger Jonas Vingegaard erklimmt den Col du Tourmalet als Erster. Kus und Roglic folgen. Alle drei Männer haben nun einen Etappensieg bei dieser Vuelta in der Tasche. Auch in der Gesamtwertung führt das Jumbo-Visma-Trio nun: 1. Kuss, 2. Roglic mit 01’37” und 3. Vingegaard mit 01’44”.

76. Vuelta a Espanã 17. Etappe 13. September 2023

Mannschaft Jumbo Visma
Da denkt man, dass die Leistung auf dem Tourmalet eine einmalige war, aber dann wird sie auf dem Angliru wiederholt. Zwar in anderer Reihenfolge, aber wieder die Plätze eins, zwei und drei in der Tageswertung und immer noch die Plätze eins, zwei und drei in der Gesamtwertung. Es ist Remco Evenepoel, der den Anfang der Etappe macht. Bis zum Fuße des Anstiegs zum Angliru bleibt er, nachdem er sich zunächst in einer größeren Ausreißergruppe befand, mit anderthalb Minuten Vorsprung allein an der Spitze. Der letzte Ausreißer ist sein Teamkollege Mattia Cattaneo. Dahinter hat sich eine Gruppe mit fünf Fahrern von Bahrain Victorious, darunter Wout Poels und Mikel Landa, und vier von Jumbo Visma gebildet: Sepp Kuss, Primoz Roglic, Jonas Vingegaard und Wilco Kelderman, der später ausfällt. 5,5 km unterhalb des Gipfels wird Evenepoel eingeholt. Aus den Männern von Bahrain und Jumbo wird der Etappensieger hervorgehen. Vor einer nebligen Kulisse kämpfen Roglic und Vingegaard um den Sieg, und 19 Sekunden später schlägt Kuss Landa im Sprint und holt noch ein paar Bonifikationssekunden heraus. Eine weitere Eins, Zwei und Drei in der Tageswertung und immer noch Eins, Zwei, Drei in der Gesamtwertung.

Vier weitere Etappen liegen noch vor uns. Die Frage, die sich jeder stellt, ist, ob die drei Jumbo-Visma-Männer ihre Positionen halten können und wie das Endklassement aussehen wird. Werden sie sich gegenseitig bekämpfen oder gibt es bereits einen Nichtangriffspakt? Die Sportpresse und die Fernsehkommentatoren stellen alle möglichen Spekulationen an, aber niemand weiß, was intern bei Jumbo-Visma vor sich geht! Noch nie hat ein Team alle drei großen Rundfahrten in einem Jahr gewonnen. Im Ziel der 20. Etappe am Samstag, den 16. September, wird die Entscheidung fallen. Mit Kuss in der Mitte überqueren die drei Arm in Arm die Ziellinie. Es gibt und wird keinen Kampf mehr zwischen ihnen geben. Die letzte Etappe nach Madrid wird ein Triumph für Kuss und für das Team sein. Geschäftsführer Richard Plugge sagt in einem TV-Interview: “Es ist mit einem Wort phänomenal. Für uns war es klar. Wir wollen das Spiel gemeinsam gewinnen. Das Motto lautet: Gemeinsam gewinnen. Wie toll sind diese Jungs. Kuss ist von ganzem Herzen zu beglückwünschen. Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir als Team arbeiten”. Auf nach Madrid!

Text and Fotos: © Teus Korporaal 

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