LINKS UND RECHTS DES ORANGE KANALS

Radfahren entlang eines Kanals kann eine eintönige Angelegenheit sein. Immer geradeaus fahren und in die Unendlichkeit schauen. Mit anderen Worten, man sammelt Kilometer. Eine andere Möglichkeit ist, sich vom Kanal leiten zu lassen und links und rechts zu sehen, wie man beim Radfahren das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden kann.

Wir fuhren in die Provinz Drenthe im Norden der Niederlande und radelten entlang des Oranjekanaals, der die Provinz von Westen nach Südosten durchquert, und waren überrascht, was uns unterwegs begegnete.

Gegraben zwischen 1853 und 1858

Wir starteten unsere Tour an der Stelle, an der der Oranjekanaal in die Drentse Hoofdvaart mündet (also von Süden kommend gleich hinter dem Smilde-Fernsehturm). Zunächst tauchen wir in die Geschichte ein, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Um 1850 war in den Torfgebieten von Midden-Drenthe bereits viel Torf gestochen worden, aber im Südosten von Drenthe gab es noch viel Hochmoor. Einige Unternehmer aus dem Westen des Landes waren daran interessiert und bereit, in den Torfabbau und die Torfgewinnung zu investieren. Ein weiteres Problem war die Entsorgung des Torfs. Sie fassten den Plan, einen eigenen Kanal zwischen dem Drentse Hoofdvaart und dem Torfgebiet zu graben. Um dies zu verwirklichen, gründeten die Männer am 15. März 1853 in Dordrecht die Drentsche Veen- en Middenkanaal Maatschappij. Im November 1853 wurde mit dem Graben des Kanals begonnen. Fünf Jahre später war der mehr als 45 Kilometer lange Kanal fertiggestellt. Mit Erlaubnis des Königs erhielt er den Namen Oranjekanaal. Bis 1976 wurde der Kanal von der Schifffahrt genutzt. Heute ist er Teil eines Kanalsystems, das den Kern der Wasserwirtschaft der Provinz bildet. Ansonsten ist er die Domäne von Fischern und gelegentlichen Kanufahrern. Nachdem wir uns die Geschichte des Kanals eingeprägt haben, ist es an der Zeit, das “Stahlross” zu besteigen.

Orange

Die Straße entlang des Kanals ist stark vom motorisierten Verkehr befahren, so dass es ratsam ist, die “ruhigere” Seite zu wählen, wo das Radfahren entspannt ist. Aus diesem Grund beginnen wir auf der Südseite. Bald werden wir von einem großen Feld blühender Mohnblumen überrascht. Natürlich machen wir ein paar Fotos. Wenig später, als wir in das Dorf Oranje einfahren, sehen wir schräg vor uns einen bunten Gebäudekomplex. Es handelt sich um eine ehemalige Kartoffelmehlfabrik, die 1913 von den Bauern der Region gegründet wurde. Rund um die Fabrik wuchs das Dorf Oranje mit Arbeiterhäusern heran. Ende der 1970er Jahre wurde die Fabrik geschlossen, weil sie zu klein und zu wenig zukunftsorientiert war. Wir setzen (jetzt auf der Nordseite) unsere Fahrt entlang des Kanals fort. Nach eineinhalb Kilometern steht am Kanal ein Schild mit einer bemerkenswerten Legende über das “rätselhafte Verschwinden der Annigje ll”. Wie es dazu kam, werden wir nicht verraten. Fahren Sie mit dem Fahrrad, schauen Sie zu und lesen Sie selbst!

Hijken

Wenn wir nach rechts über die Brücke abbiegen, fahren wir direkt in das Café ‘De Dorpskern’. An der Seitenwand des Gebäudes hängt ein wunderschönes Wandgemälde, das anlässlich des Starts der Vuelta a España im nahe gelegenen Assen im Jahr 2009 gemalt wurde. Der Geschäftsführer ist ein begeisterter Radsportler und am Stammtisch unterhalten wir uns angeregt über den Radsport. Als wir gehen, ruft er mir hinterher: “Schreiben Sie einfach, dass wir guten Kaffee machen und leckeren Apfelkuchen haben”. Auf der Südseite des Kanals fahren wir weiter in Richtung Osten. Nach ein paar Kilometern, am Bahnübergang, biegen wir wieder nach Norden ab. Es scheint kompliziert zu sein, aber es geht alles von selbst.

Lager Westerbork

Kurz hinter der Kreuzung 15 (nach etwa anderthalb Kilometern) biegen wir links ab in Richtung Kamp Westerbork. Wir fahren durch den Wald und betreten eine völlig andere Welt, die an die Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg erinnert. Von diesem Lager aus wurden 102.000 Juden in Vernichtungslager wie Auschwitz und Solibor transportiert. 93 Mal verließ ein solcher Transport das Lager. Nur 5.000 Deportierte kehrten zurück. Auf dem Gelände des Lagers kann man frei radeln. Das Westerbork National Monument: Die Eisenbahnlinie mit den gebogenen Schienen symbolisiert die schreckliche Vernichtung. Auf dem ehemaligen Apfelhof stehen 102.000 rote Steinblöcke, ein Block für jeden deportierten Mann, jede Frau und jedes Kind. Wir verlassen das Gelände über die Ausfahrt 58 und kommen an der Ausfahrt 52 wieder an den Kanal, den wir überqueren und gleich wieder links abbiegen. Wer noch über die Drenthe-Felder radeln möchte, kann sich in den Wäldern, die wir gerade durchquert haben, gut amüsieren.

Orvelte

Bei dem Schild, das zur Kreuzung 97 (Veldma) führt, halten wir uns rechts. Dann biegen wir an der Kreuzung links ab in Richtung Orvelte. Orvelte wurde 1967 als geschütztes Dorfdenkmal ausgewiesen. Damit soll der ursprüngliche Charakter erhalten werden. Das Dorf und die Bauernhöfe wurden restauriert und so eingerichtet, wie es in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts üblich war. Es wurden sogar Bauernhäuser aus anderen Gemeinden hierher verlegt und im ursprünglichen Stil wiederaufgebaut. Heute ist es eine der größeren Touristenattraktionen der Provinz, in der man leicht einen ganzen Tag in attraktiven Geschäften, Werkstätten, Cafés usw. verbringen kann. Aber auch Schmiede gehen ihrer Arbeit nach und das bäuerliche Leben lebt wieder auf. Gegenwart und Vergangenheit verbinden sich hier auf einzigartige Weise.

Schoonoord

Ohne die Abstecher zum Camp Westerbork und nach Orvelte sind wir nun über 27 Kilometer entlang des Kanals geradelt. An der Brücke in Schoonoord, die ihre Existenz dem Oranjekanaal verdankt, biegen wir links zum Freilichtmuseum Ellert und Brammert ab, das nach den beiden Riesen benannt ist, die der Legende nach in der Region wildernd unterwegs waren. Das Museum lässt die Vergangenheit des Südostens von Drenthe wieder aufleben. Das Leben und Wohnen in dieser Gegend wird anhand der verschiedenen Wohnformen dargestellt, darunter natürlich auch die Sodenhütten, in denen die Torfarbeiter lebten. Über Odoornerveen gelangen wir in die größte Stadt der Region: Emmen mit 60.000 Einwohnern. (Die gesamte Gemeinde im Südosten von Drenthe hat über 108.000 Einwohner).

Oranjedorp

Das Dorf, das um 1858 durch die Trockenlegung von Torfgebieten entstand, wird am besten durch die Gedichtzeilen beschrieben, die wir bei einem Denkmal an der Brücke gefunden haben. Nachdem wir das Dorf passiert haben, ist die etwa 48 Kilometer lange Fahrt entlang des Oranjekanaals fast zu Ende. Ein Stück weiter liegt die Schleuse Oranjesluis und der Kanal mündet in die Verlengde Hoogeveensevaart.

Wir biegen rechts ab, um zwei Kilometer weiter auf dem Charmecamping “Op Fietse” bei Erica zu übernachten. Der Name stammt aus einem Lied der 1997 gegründeten Band SKIK, deren Leadsänger Daniël Lohues hier in Erica seine Wurzeln hat. “Op Fietse”: Könnte es nach unserer Fahrradtour passender sein?

Text and Photo: Teus Korporaal

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